Die Propheten - Prophetie

Das Prophetenamt im alten Israel

Fortsetzung I

Pinchas Lapide - "Ist die Bibel richtig übersetzt?"

Es bedarf nur geringer Vorstellungskraft, um sich auszumalen, wie solche Boten, die sogar Gott zur Rechenschaft zu ziehen wagen, mit ihren eigenen Landesherren umgegangen sind, sobald diese der Machtgier zum Opfer fallen.

 

So schreit der "Prophet" Samuel den Saul öffentlich an: "Du hast töricht gehandelt (...) und getan, was Gott missfiel (...) Nun wird Dein Königtum nicht länger bestehen" (1 Sam. 13,13ff.).

 

Nicht weniger unwirsch verdammt Elia seinen König Ahab als "Dieb und Mörder", während der "Prophet" Nathan nicht zögert, König David vor seinen Gefolgsleuten unumwunden anzuprangern: "Du bist der Mann (...) der Arme beraubt und Ehebruch begeht!" (Sam. 12,7ff.).

 

Von dieser kühnen Machtkritik war es nur ein kleiner Schritt zur politischen Aktivität aller Gottesmänner im alten Israel.

 

So widmet Jesaja ganze Kapitel der von ihm empfohlenen Strategie; Jeremia fordert eine höchst unpopuläre Außenpolitik seiner Regierung; Amos mischt sich ganz unverschämt in die Sozialpolitik der Aristokratie ein, und ihre Kollegen geißeln die moralischen Missstände in ihrem Königreich mit hemmungsloser Freimütigkeit. Das waren weder fromme Sonntagspredigten noch harmlose parlamentarische Oppositionsreden, sondern theopolitische Kampfansagen, die in allen Fällen lebensgefährlich waren - zuerst für die Ankläger selbst, letztlich aber auch für die Könige im alten Israel, deren Herrschaft zeitlebens der "prophetischen" Kritik unterworfen blieb. 

 

Vor allem aber war es die hauptsächliche Aufgabe der "Propheten", als Gewissen des Volkes die Sehnsucht nach dem Rechten und dem Guten zu erwecken; und wie jedes aktive Gewissen lag es an ihnen, Israel zu beißen, mit beißender Ironie zu überschütten und durch bissige Kritik wachzurütteln. 

 

Im Grunde ist die Mitte der Gesamt-Botschaft aller "Propheten" ein einziger lautstarker, immer wieder ertönender Ruf zur Umkehr: ein unüberhörbarer Appell zur Abkehr von der Vergötzung von Dingen wie etwa Reichtum, Rüstung und Nachhuren nach irdischen Ab-Göttern - auf die eine Hinkehr zum Gott der Väter folgen soll als Heimkehr zur ursprünglichen Gotteskindschaft aller Gläubigen.

 

Dieser Prophetenschrei kann als Mahnrede, als schroffe Zurechtweisung, in Form von furchterregenden Wehrufen, als apokalyptisches Drohwort oder als brutale Schelttirade, aber auch als bedingte Heilszusage oder als Lockruf der Liebe Gottes erklingen. Alle Register der Polemik und der Rhetorik werden gezogen, um Israel zurückzurufen zu seinem Vater im Himmel, der auf die Reumut seines Volkes wartet.

 

Kurzum, die "Propheten" beschäftigten sich mit allem Möglichen - oft auch Unmöglichen - mit einer bemerkenswerten Ausnahme: der eigentlichen Prophetie im klassischen Sinne des Wortes, nämlich als das Vorhersagen der Zukunft.