Menschen, die anders leben

Fortsetzung 3

Wir Wanderer, die wir immer den einsameren Weg suchen, beginnen keinen Tag, wo wir den anderen beendet haben. Und keine Morgenröte findet uns, wo uns die Abendröte verließ. Sogar wenn die Erde schläft, sind wir unterwegs. Wir sind die Samen der störrischen Pflanze, und erst wenn wir reif sind und unser Herz übervoll ist, gibt sie uns frei und verstreut uns im Wind. Meine Tage sind kurz, ganz gleich wie viele es werden und kürzer noch die Worte, die ich spreche.Doch dankt nicht mir, sondern dem, der durch mich spricht.

 

  Bin ich nicht ebenfalls nur ein Zuhörer?

 

Sollte jedoch meine Stimme in euren Ohren verhallen und meine Liebe in eurer Erinnerung vergehen, dann komme ich wieder. Und mit einem reicheren Herzen und Lippen, dem Geist noch strenger unterworfen, werde ich sprechen.

Ja, mit den Gezeiten kehre ich wieder. Und wenn der Tod mich versteckt und mich die größere Stille umhüllt, selbst dann noch will ich danach streben, dass ihr mich versteht.

 

Wenn etwas Wahrheit ist, das ich gesagt habe, wird diese Wahrheit mit klarerer Stimme sich offenbaren und in Worten, die euren Gedanken näher sind.

 

Ich gehe mit dem Wind, nicht aber hinab in die Leere. Und wenn dieser Tag nicht die Erfüllung eurer Wünsche und meiner Liebe bedeutet, dann lasst ihn zumindest ein Versprechen bis zu einem anderen Tag sein. Die Bedürfnisse des Menschen ändern sich, nicht aber seine Liebe und das Verlangen, dass seine Liebe seine Wünsche erfüllt. Seid deshalb gewiss, dass ich von der größeren Stille zurückkehren werde. Denn welche Entfernungen kann Liebe überbrücken, die nicht in der Sphäre des Unermesslichen liegen?

 

Man hat euch gesagt, dass ihr, gleich einer Kette, so schwach seid wie euer schwächstes Glied. Dies aber ist nur die halbe Wahrheit.

 

Ihr seid auch so stark, wie euer stärkstes Glied (Jesus Christus).

 

Eure Gedanken und meine Worte sind Wellen eines versiegelten Gedächtnisses, das die Erinnerung an unsere Vergangenheit bewahrt. Und an die Urzeit, als die Erde weder uns noch sich selbst kannte, und an die Nächte, als die Erde von Verwirrung zerwühlt war. Doch erzähle ich euch damit nichts Neues. Spreche ich doch nur in Worten von dem, was ihr selbst in Gedanken schon wisst. Und was ist das Wortwissen anderes als nur ein Schatten des wortlosen Wissens?

 

Ihr sagtet zu mir:

 

„Er hält Rat mit den Bäumen des Waldes, aber nicht mit den Menschen. Er sitzt allein auf den Spitzen der Berge und schaut hinab auf unsere Stadt.“

 

Wahr ist, dass ich die Berge bestieg und entlegene Orte durchwanderte. Wie hätte ich euch sehen können, wenn nicht aus großer Höhe und aus großer Entfernung? Wie kann jemand wirklich nahe sein, wenn er nicht fern ist?

 

Und andere unter euch riefen mir wortlos hinterher und sagten:

 

„Fremder, Fremder – Liebender unerreichbarer Höhen, warum wohnt Ihr zwischen den Gipfeln, wo die Adler ihre Nester bauen? Warum sucht Ihr das Unerreichbare? Welche Stürme wollt ihr mit eurem Netz einfangen? Und was für geheimnisvolle Vögel jagt Ihr im Himmel? Kommt und seid einer von uns. Steigt herab und stillt euren Hunger mit unserem Brot und löscht euren Durst mit unserem Wein.“

 

In der Einsamkeit ihrer Seelen sagten sie diese Dinge.

Wäre ihre Einsamkeit tiefer gewesen, sie hätten gewusst, dass ich nichts anderes suchte als das Geheimnis eurer Freude und eures Schmerzes, und ich jagte nur euer größeres Selbst, das den Himmel durchschreitet. Aber der Jäger war auch der Gejagte. Denn viele meiner Pfeile schwirrten von meinem Bogen, nur um meine Brust zu treffen. Und der Fliegende war zugleich auch der Kriechende; denn sobald die Sonne meine ausgestreckten Flügel beschien, war ihr Schatten auf der Erde eine Schildkröte. Und ich, der Glaubende, war gleichzeitig auch der Zweifler; denn oft habe ich den Finger in meine eigene Wunde gelegt, um zu einem festeren Glauben an euch und einem größeren Wissen von euch zu gelangen.

 

Und es ist mit diesem Glauben und Wissen, dass ich sage:

 

„Ihr seid in euren Körpern nicht gefangen und auch nicht auf Haus und Felder beschränkt. Das, was ihr selbst seid, wohnt über dem Berg und geht mit dem Wind. Es ist nichts, was in die Sonne kriecht, um sich zu wärmen, oder Löcher in die Finsternis bohrt, um sich zu schützen. Sondern ein Freies, ein Geist, der die Erde umhüllt und sich im Äther bewegt.

 

Was uns hier gegeben wurde, werden wir bewahren. Und wenn es nicht ausreicht, dann müssen wir uns wieder versammeln und gemeinsam unsere Hände dem Geber entgegenstrecken.. Es war erst gestern, das wir uns im Traum begegneten. Ihr habt in meiner Einsamkeit Lieder gesungen und ich habe aus euren Sehnsüchten einen Turm in den Himmel gebaut. Vergesst nicht, dass ich zu euch zurückkommen werde. Sollten wir uns wieder sehen im Dämmerlicht der Erinnerung, werden wir abermals sprechen und ihr werdet ein tieferes Lied für mich singen. Und wenn unsere Hände sich in einem anderen Traum begegnen, dann werden wir einen neuen Turm in den Himmel bauen.

 

„Eine kleine Weile, und meine Sehnsucht wird Staub und Schaum sammeln für einen anderen Körper. Eine kleine Weile, einen Moment der Ruhe auf den Flügeln des Windes, und eine andere Frau wird mich gebären.“