Mystik

Fortsetzung I

Was charakterisiert einen Mystiker?

             Einfachheit

             Demut

             Selbstüberwindung

             Hingabe über das übliche Maß hinaus

             Edelmut

             ein ungewöhnliches Verlangen nach Gott

             der Wille, das menschliche Bewusstsein zu heben

 

Die genannten Merkmale entsprechen dem Charakter eines Mystikers, wobei Ausnahmen bekanntlich die Regel bestätigen. Diese Haupteigenschaften haben aber vor allem sehr viel mit dem tatsächlichen Alter der verkörperten Seele zu tun. Denn wer als Mystiker geboren wird, der hat viele Leben hinter sich und kommt, um seinen Weg, nach Möglichkeit, zu vollenden. Nach der kabbalistischen Philosophie ist die Mystik die höchste Ausbildungsstufe auf dem Weg der Inkarnation und mündet, am Ende, in die spirituelle Meisterschaft ein. Allerdings kann sich die Ausbildung eines Mystikers über mehrere Leben hinziehen.

 

Den Mystiker verlangt es nach unmittelbarer Erfahrung. Sie wird ihm nicht aus eigener Kraft zuteil. Sein Herz hungert in jedem Gebet, jeder Meditation, jeder spirituellen Arbeit danach, und er erkennt sein tiefes Verlangen nach dem Göttlichen. Er öffnet sich, wartet und findet schließlich Erfüllung. Die göttliche Gegenwart heißt ihn willkommen. Für ihn/sie ist Gott die All-Einheit und unmittelbare Gegenwart. Auf einzelne Lehren/Systeme lassen sich Mystiker, meist, nicht begrenzen, obwohl diese notwendig sind, um auf intellektueller Ebene für ein gewisses Verständnis und für Fortschritt zu sorgen. Für den Mystiker sind sie Mosaiksteine, die er auf seinem Weg findet, reinigt, prüft (Energien, Logik, persönliche Erfahrung) und entweder in das Mosaik seines/ihres geistigen und weltlichen Bildes einfügt oder in einer (gedanklichen) Schachtel ablegt, weit genug, um für Neues frei zu sein, nah genug, um sie nicht aus dem Blick zu verlieren.

 

Der Mystiker bereist Bewusstseinsebenen, die über denen der Religionen liegen. Die Sorge zu versagen oder die Befürchtung, was andere von ihm denken mögen, fällt weg. Eitelkeit und Selbstgerechtigkeit nehmen ihn nicht länger gefangen. Wahre Demut, die mit der Entfaltung des Göttlichen im Menschen einhergeht, bedeutet für den Mystiker absolutes Gottvertrauen. Diese Demut schützt ihn vor intellektuellem Stolz und Eigeninteresse.

 

Mehr als alles andere verlangt es den Mystiker nach der direkten Begegnung mit dem Ursprung seines Seins, mit dem Geist, der ihn schuf, und nichts anderes wird ihm/ihr genügen. Das höchste Ziel des Mystikers ist sowohl die Gotteserkenntnis, wie auch „zu erkennen, was die Welt im Innersten zusammenhält“.

 

Es gibt viele Bewusstseinsebenen, die höchsten Bewusstseinszustände besitzen ihre eigene Anpassungsform, ihre Kräfte, Wunder und Segnungen. Es ist ein großer Vorzug, die Fähigkeit zu besitzen, sich im Alltag auf die Obertöne dieser Bewusstseinsbereiche einzustimmen, um Gott besser zu erkennen. Mystiker erleben in zunehmendem Maße eine Befreiung von ihrem Ego (Rückzug des äußeren Ich zu Gunsten der Entfaltung des Inneren Ich) und den Fesseln der Persönlichkeit (Persona = Maske) und der äußeren Welt, gefolgt von einer tiefen Liebe zu Gott, so dass ein gewöhnlicher Augenblick zur Verzückung werden kann. Die Nähe Gottes, der sich ein Mystiker immer stärker bewusst wird, ist sein größter Lohn. Einfachheit sowie zunehmende Bestätigung und Unmittelbarkeit sind die Merkmale inneren Wachstums. Wenn Geist und Seele hellwach sind und der Körper in stiller Ehrfurcht verharrt, kann sich völlig unerwartet eine geistige Erhebung einstellen, ein Moment, der dem Individuum Zuversicht und Selbstvertrauen schenkt.